Was ist eine Behinderung? Wie erkläre ich das (m)einem Kind? Muss ich diesen Begriff einem Kind erklären? Es gibt viele Fragen zu diesem Thema. Gibt es auch (richtige) Antworten?

Kaum ein Kind wird die Frage so stellen, wie ich sie in der Überschrift gestellt habe.  Kinder die mit anderen Kindern – auch mit behinderten Kindern, in Kontakt kommen, diese Auffälligkeiten kaum wahrnehmen.  Sobald der soziale Rahmen, wie Kindergarten  aber wegfällt, bemerken Kinder, das andere Menschen etwas nicht so gut oder überhaupt nicht können. Es wird sichtbar.Ist das jetzt behindert? Oder anders? Oder was eigentlich?

Kinder sind von Natur aus neugierig. Diese kindliche Neugierde ist ein Geschenk. Sie gehen unverkrampft an solche Situationen heran und fragen. Mir begegnen immer wieder Kinder, die sich langsam annähren, um mich herumschleichen. Unsere Blicke treffen sich,…Kleinkinder laufen mit beiden Händen vorraus auf den Rollstuhl zu, Kindergartenkinder schauen mich fragend an. Einige Kinder fragen mich direkt: „Was ist das?“ Oder „Was hast du?“ Andere Kinder gehen zuerst zu ihren Eltern, oder verstecken sich hinter Ihnen. Dann höre ich meistens irgendwann ein: „Papa, was hat die Frau?“

Wie gehen Eltern mit solchen Fragen um?

Bei vielen Eltern macht sich in diesem Moment Hilflosigkeit und Panik breit. Ettliche Eltern sind unsicher, was sie nun sagen sollen. Plötzlich, ohne Vorbereitung.

Das ist überhaupt nicht nötig. Liebe Eltern, seit mutig. Seid offen, wie Eure Kinder. Traut Euch. Traut Euch dazu zu stehen, dass ihr etwas nicht wisst. Traut Euch auch nachzufragen, wenn es Euch oder Eure Kinder sehr interessiert.
Es gibt Eltern die schimpfen mit ihren Kindern. wenn sie fragen, was mit einem Menschen nicht in Ordnung ist. Gestern war ich draußen und ein Mädchen ca. 3 Jahre alt sah mich und fragte seine Mama: „Warum sitzt die Frau beim Laufen?“ Dieses Mädchen bekam von seiner Mama, keine Antwort. Da fragte es nochmal lauter: „Mama, warum muss die Frau nicht laufen, wie ich?“ Die Mama war von dieser Offenheit so geschockt und überfordert, dass sie ihr am Arm zerrte und ihr in einem scharfen Ton sagte: „Sei jetzt still. Da schaut man nicht hin.“ Die Situation war so angespannt, dass ich nichts dazu sagen konnte, denn die Mutter nahm ihr Kind auf den Arm und lief mit schnellen Schritten in die andere Richtung.

Leider sind solche Reaktionen keine Einzelfälle. Und die gesagten Sätze sind noch sind noch harmlose Sätze. Ich möchte hier keine Böshaftigkeit unterstellen – eher Unsicherheit und Hilflosigkeit, die Erwachsene so handeln lassen.

Einen Rollstuhlfahrer erkennt man noch – aber es gibt auch andere Situationen. Bei einer Sprachstörung z.B. ist es nicht gleich offensichtlich. Auch hier versuchen manche Eltern, ihre Kinder davor zu schützen, indem sie die  Kinder wegziehen und versuchen, dass ihr Kind soetwas nicht sehen muss. Möchten Erwachsene hier ihre Kinder schützen, oder sich selbst? .

Wenn ich Interesse bei einem Kind bemerke und den Eindruck habe, dass die Eltern unsicher sind, dann gehe bzw. rolle ich, aktiv auf das Kind zu und erkläre oder erzähle ihm, was es wisen möchte. So entwickeln sich tolle Gespräche und auch den Eltern kann man etwas von ihrer Unsicherheit nehmen

Wie erkläre ich meinem Kind „Behinderung“?

Ich glaube es kommt sehr auf die Fragestellung und auf das Alter des Kindes an. Wenn ein Kind wissen möchte, was die andere Person hat, dann kann man das Ganze einfach sachlich und kindgerecht beschreiben. Ohne Überbegriffe oder Schubladen.

Wenn ein Kind, nach dem  WARUM fragt, was antwrte ich dann? Kinder haben Frage und sie möchten antworten.

In diesem Fall, könnte man z.B. bei der Person – oder ihrer Begleitung direkt nachfragen. Ich habe in meiner OnlineBlase einmal nachgefragt, wie Betroffene es sehen und welche Antworten diese Menschen den Kindern geben. Einen Auszug möchte ich Euch hier vorstellen:

Manja Wir erklären die Lähmung der Beine mit einem Stromkabel. Wenn Mama bügeln will, steckt sie den Stecker in die Steckdose und der Strom kommt aus der Leitung. Wenn irgendwo die Leitung kaputt ist, weil ein Baum auf einen der Strommasten gefallen ist, dann ist der Strom im E-Werk da, aber kommt nicht in der Steckdose an. Und so ähnlich ist es mit den Beinen: Das Gehirn sagt laufen, aber der Befehl kommt nicht in den Beinen an, weil die Leitung im Rücken unterbrochen ist. Man muss es Kindern bildlich erklären, mit dem Begriff der Behinderung können sie nichts anfangen.

Helge Ich erkläre Kindern das immer so…. In Neles Rücken ist eine Stelle kaputt. Und die kaputte Stelle macht,das das Gehirn nicht die Befehle zum Gehen an die Füße schicken kann. Die bleiben immer an der kaputten Stelle im Rücken hängen und kommen nicht weiter. Deswegen sitzt Nele seit ihrem Dritten Lebensjahr im Rollstuhl.

Guenter Jeder Mensch hat Fähigkeiten. Der/die eine mehr, der/die andere weniger. Nicht jedeR spricht chinesisch. Also ist ein nichtchinesischsprechender Mensch relativ gesehen behindert, was die Beherrschung dieser Sprache anbelangt. Andere können schwimmen. Andere nicht. Manche haben Beine, manche nicht…….

Eleonore Ich glaube einfach, wenn man „Behinderung“ als individuelles Merkmal sieht oder beschreibt (ALLE sind unterschiedlich/ JEDER ist einzigartig) dann ist es vielleicht auch das was Kinder mit einem Rollstuhl etc….assozieren… ich denke die Person als solche sollte im Focus stehen-und nicht eine Erkrankung oder Behinderung….einfach von genereller Individualität als von Andersartigkeit Einzelner auszugehen betont doch den Gedanken „Wir sind alle gleich,weil wir alle unterschiedlich sind!“

Juliane Warum das in dem Fall (Rollstuhl oder Aussprache) so ist, weiß ich natürlich nicht im Einzelfall. Ich habe auch beides, sowohl Sprachbehinderung als auch den Rollstuhl. Ich versuche es entsprechend dem Alter des Kindes zu erklären. Dass ich wegen einer Blutung im Kopf bzw. Rücken nicht laufen kann, weil die Informationen nicht mehr vom Kopf in die Beine finden. Und das mit dem Hören (ich bin gehörlos) erkläre ich so, dass ich zu früh geboren wurde und das Gehör deshalb nicht funktioniert. Weil ich nicht höre, was ich selber sage, ist meine Aussprache etwas beeinträchtigt. Kinder wollen Wissen, warum und wieso es so ist. Das ist die kindliche Neugier und die ist normal. Die Vorurteile werden den Kindern von den Erwachsenen beigebracht. Meine Mutter hat mir immer beigebracht, dass ich anders bin, aber nicht behindert. Behindert ist das, was daraus gemacht wird.

Michael Papa, was is das was Josy hat…tja Junior.. wie erkläre ich dir eine Spontane Mutation eines Genoms…… ok Junior…lass uns mal ein bisschen mit dem lego spielen.. ok. wir bauen ein haus mit fenster und türen…toll papa…papa!? ja? in das haus kann man nicht rein gehen, du hast die tür vergessen zu bauen…genau, das habe ich ganz spontan vergessen und deswegen kann man nicht in das haus…ok, dann ist das wie bei josy,da wurde beim bauen was vergessen…genau.deswegen ist sie so wie sie ist, einfach gesagt, halt nicht ganzt fertig

Das sind alles Antworten, die Behinderte oder Eltern von Kindern mit Einschränkungen anderen Kindern geben. Ich finde diese Sammlung sehr beeindruckened. Selbsterklärend kann man diese Antworten nur geben, wenn man weiß – WAS genau der Mensch hat.

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Jeder Mensch ist individuell und hat individuelle Merkmale. Es gibt so verschiedene Menschen- klein, groß, dick, dünn, mit unterschiedlichen Hautfarben, mit Locken, ohne Locken, mit Zahnlücke, mit Rollstuhl, mit Krücken, mit Spastiken, mit optischen Auffälligkeiten,… Wenn man diese Unterscheidlichkeit in den Vordergrund stellt – JEDER Mensch ist anders als der Andere – dann liegt der Focus auf dem Menschen. Die Krankheit oder Behinderung gehört dazu – steht aber nicht an erster Stelle.

So kann man auch bei Fragen nach dem wieso und warum ehrlich antworten:

  • jemand ist so geboren worden,
  • hatte einen Unfall
  • ist krank geworden
  • und braucht jetzt
  • die Brille oder das Hörgerät / Rollstuhl um besser sehen/ hören/ sich bewegen zu können.

Oder

  • der Junge kann nicht so gut sprechen, weil die Muskeln die ihm beim Sprechen helfen, zu schwach sind.

Kinder sind neugierig, weil es nicht selbsterklärend ist, wenn Menschen ihnen „anders “ erscheinen. Aber sie sind auch offen und frei von Vorurteilen. Wir können so viel Ihnen lernen. Wenn wir uns trauen und uns darauf einlassen.

Traut Euch und lebt Inklusion

 

Bildnachweis: Pixabay

Bücherliste für Kinder Behinderung und Inklusion

19 Gedanken zu “Mama, was ist behindert?

  1. Ich tu mich bei sowas auch sehr schwer. Und dabei hab ich „Behinderte“ im erweiterten Bekanntenkreis. Die Beispiele oben lassen sich übrigens 3jährigen nicht besonders gut erklären, für die sind die Analogien noch ncihts. Im Sommerurlaub trafen wir auf mehrere Rollstuhlfahrer, und meine Zwillinge fragten mich warum die Leute nicht laufen. Es blieb dann dabei, dass die Beine der Leute wohl irgendwie krank/kaputt sind. Das haben die Kinder akzeptiert, wenngleich das wohl auch immernoch fern von der Realität war. Aber dass die Leute dann stattdessen mit dem Rollstuhl fahren dürfen, fanden die Kinder dann auch wieder gut 🙂 Ob wir das so richtig erklären, ich weiss es nicht. Ich frage mich auch immer wieder, woher diese Scheu vor Andersartigen bei mir selber kommt.

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    1. Danke für deinen Kommentar. Inwieweit man die körperlichen Zusammenhänge erklärt ist natürlich immer von dem Kind abhängig und nicht zwingend vom Alter. So lange man ehrlich antwortet, ist das das wichtigste. Wie viel – das weiß jedes Elternteil wohl am Besten.

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  2. Super Beitrag! Kinder brauchen Antworten, wieso, weshalb, warum. Und auch für Eltern „unbequeme“ Antworten sind nötig! Da fängt Inklusion an. Kinder sind sehr verständnisvoll … meistens hapert es bei den Eltern. Leider 😆😟

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  3. Beim schwimmen treffen wir regelmäßig eine Familie deren Tochter/Enkelin genau wie meine Tochter 3 ist,aber deren Mutter leider einen Plazentaabriss hatte,weshalb die süße Maus schwerste Schäden hat. Sie wird nie sprechen, geschweige denn laufen können. Eines Tages fragte meine Tochter mich was das andere Mädchen hat.
    Ich habe ihr erklärt,dass sie zu wenig Luft bekommen hat,als sie noch im Bauch von ihrer Mama war und sie deshalb ist wie sie ist. Und dass wir ein riesen Glück haben,dass wir gesund sind und nur hoffen können,dass das auch so bleibt.
    In dem Fall wusste ich was das Mädchen hat. In anderen sage ich meiner Kleinen auch durchaus, dass ich es nicht weiß,sie aber die Leute gerne fragen darf und ihr keiner darum böse ist.

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  4. Tolle Worte! Die message gefällt mir.
    Mein Sohn ist drei jahre alt und hat Diabetes Typ 1. Er trägt seit einem Jahr eine insulinpumpe. Erst seit kurzem ist ihm seine andersartigkeit bewusst. Er geht seit drei Monaten in den Kindergarten und hat da so richtig wahrgenommen, dass nicht jedes Kind eine „pumpi“ hat. Ich habe ihm vom ersten Tag an erklärt, dass jeder Mensch auf der Welt anders ist. Es gibt Menschen die tragen eine Brille, Kinder mit Hörgerät, dicke Menschen, Menschen im Rollstuhl. Keiner ist richtig oder falsch – jeder nur einzigartig!! Ich glaube er versteht das und kann damit gut umgehen. Im Kindergarten fragen viele Kinder danach was er da hat. Seine Antwort ist : „ich habe Diabetes. Mein Körper kann alleine kein Insulin machen, deshalb hab ich meine pumpi. Dein Körper kann das. Jeder ist anders.“
    Ich bin sehr stolz auf mein Kind. Er hat Inklusion verstanden. 💖

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  5. Ich bin eher besorgt dass wie betroffene Person wütend auf eine meiner „Erklärungen“ reagieren könnte. Man möchte ja eben niemanden vor den Kopf stoßen. Die Situation hatten wir jetzt noch nicht, aber was, wenn der Rollstuhlfahrer unzufrieden damit ist, dass ich meinem Kleinkind erkläre, dass er ein Aua in den Beinen hat und Hilfe beim Laufen braucht?
    Ein schwieriges Thema. Denke viele meinen solche Reaktionen gar nicht böse sondern wissen es eben nicht besser… mich eingeschlossen…

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    1. Ich verstehe deine Sorge. Wenn der Rollstuhlfahrer mit der Erklärung nicht zufreiden ist, dann kann er diese immer noch ergänzen. Sollte er nicht wollen, dass du deinem Kind etwas erklärst – dann ist er doof. Soory. Es gibt blöde Menschen. Und es gibt natürlich auch blöde Menschen mit Behinderung. Wenn der Betroffene keine Erklärung mag, dann wirst du das leider erst danach merken. Aber du hast dann immerhin eine Frage von deinem Kind beantwortet

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  6. Liebe Ju,
    danke schön für diesen Artikel, der mir sehr geholfen hat bei der nächsten Frage meiner Großen passend zu reagieren. Es war an einem schönen sonnigen Tag und wir haben einen Ausflug zum Spielplatz gemacht. Der Papa ging mit dem Kinderwagen etwas vor, weil die Große sehr interessiert in der Gegend herum schaut und alles entdeckt, erfragt und genauestens betrachten. Wir gingen dann an einem Mann im Rollstuhl vorbei, der offensichtlich einen seiner ersten Versuche tat, den Rollstuhl selbst zu bewegen. Immer wieder fuhr er (unfreiwillig) Kurven und eckte manchmal am Bordstein oder dem Grünstreifen an. Die Große fragte: Was macht der Mann da? Ich sagte: er fährt mit dem Rollstuhl spazieren. Sie: WARUM? Da war sie, die Frage, die ich nicht beantworten kann. Er kann nicht laufen, deshalb fährt er mit dem Rollstuhl, damit er auch raus kann und die Sonne genießen. Sie: WARUM kann er nicht laufen? „Ich weiß es nicht, aber wir können ihn fragen.“ Sie klammerte sich an mich und traute sich nicht, ihn anzuschauen. Ich sagte: Meine große Tochter möchte wissen, warum Sie mit einem Rollstuhl fahren. Wie kam es dazu, dass Sie den Rollstuhl brauchen? Er lächelte und richtete seine Worte an sie, obwohl sie sich nicht traute, ihn anzuschauen: „Weißt Du, ich bin krank, meine Beine sind krank und irgendwann wollten meine Beine nicht mehr so, wie ich möchte und ich konnte nicht mehr laufen, deshalb fahre ich nun im Rollstuhl“ Sie klammerte sich immer noch an mich und traute sich nicht, aufzuschauen. Ich sagte ihm, dass sie immer ihre Zeit braucht, bis sie auftaut und dass ihr das jetzt auch unangenehm ist, weil es die erste Situation ist, in der wir so offen auf jemanden zugehen statt selbst zu mutmaßen, wenn sie eine Frage hat. Ich wünschte ihm weiterhin alles Gute und bedankte mich für seine Offenheit.

    Was habe ich meiner Tochter dadurch gezeigt? Dieser Mann war total aufgeschlossen, freundlich und er hat ihre Frage nach dem WARUM beantwortet, ich habe keine Mutmaßungen angestellt und habe ihr gesagt, dass ich es nicht weiß, dass man aber immer jemanden fragen kann, der es sicher und viel besser beantworten kann. Jemanden anzusprechen ist nicht schlimm, im Gegenteil – man bekommt freundliche Worte und Antworten auf eigene Fragen. Es hat ihr auch gezeigt, dass ihre Unsicherheit (ihr Klammern) völlig ok ist und respektiert wird und dass sie trotzdem die Antwort bekommt.

    Als wir etwas weiter weg waren, ließ sie mich locker und sagte: Die Beine vom Mann sind krank und mit dem Rollstuhl kann er in der Sonne spazieren gehen. Und sie lächelte.

    Also – die Botschaft war angekommen, sie hatte die Antwort auf ihre Frage WARUM und zwar von ihm direkt und nicht von mir, die es ja gar nicht wusste.

    Ich bin dankbar, dass ich Deinen Artikel VOR dieser Begegnung gelesen habe, denn sonst hätte ich vielleicht ganz anders, zurückhaltend, rätselnd und unsicher reagiert, um ihm nicht zu nahe zu treten. Ich habe dadurch also auch eine ganz wichtige Erfahrung gemacht: Menschen beantworten größtenteils gerne Fragen, wenn man ihnen freundlich und aufgeschlossen gegenüber tritt.

    Dir kann ich nicht oft genug danke sagen, dass ich durch Deinen Artikel vorbereitet war und meiner Großen und mir eine ganz wichtige Erfahrung beschert habe.

    Liebe Grüße
    Renate

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